Cat schlich sich am Anlegesteg im Hafen
an zwei alten Seebären vorbei. Sie hatten sie nicht gesehen. Dahinten
war schon die alte Lagerhalle in Sicht. Als sie sie erreichte, schlich
sie um die Ecke und dann stieg sie in ein Fenster ein, dessen Scheibe
zertrümmert war. Als sie drin war kam eine leise Stimme aus der Ecke:
"Kennwort?" "Hamburger Hafen", flüsterte sie. "Ok, kannst weitergehen!"
Sie ging an dem Wachposten vorbei, und gelangte in die Halle. In der
Mitte der Halle brannte ein Feuer. Um es herum saßen ein paar Gestalten.
Cat rief ihnen zu: "Ich hab' unser Abendessen mitgebracht! Alle Mann an
die Buletten!" Die Gestalten erhoben sich und Cat ging auf sie zu. Sie
holte aus ihren Hosentaschen zwei Packungen Würstchen. "Hi Cat! Alles
glatt gelaufen?", fragte sie ein Junge. Das war Rod, Cats engster
Verbündeter. "Klar! Wie immer", antwortete Cat. Sie setzte sich zu der
Bande, die schon eifrig die Würstchen über dem Feuer briet. Cat, die mit
bürgerlichen Namen Mandy Bäcker hieß, lebte schon seit längerer Zeit mit
ihrer Bande, den Hafenratten, auf der Straße. Genau gesagt seit drei
Jahren. Als sie zwölf war, starb Cats Mutter. Da der Vater nicht bei
ihnen wohnte, musste Cat ins Heim. Von dort riss sie aber aus und
versuchte ihren Vater zu finden. Das gelang ihr aber nicht. Sie lebte
einige Zeit ganz allein auf der Straße, bis sie Rod und seine Bande
traf. Sie nahmen sie auf.
Jetzt, drei Jahre später, Cat ist jetzt
sechzehn, war sie der Chef der Bande. Die Bande bestand aus ihr, Rod,
John, Mouse und Lilly. Sie mussten immer wieder aufpassen, nicht von der
Polizei geschnappt zu werden. Ansonsten würden sie ins Heim müssen. Sie
lebten jetzt seit einem halben Jahr in der alten Lagerhalle. Noch hatte
sie die Polizei nicht aufgestöbert.
"Mouse! Lös' mal bitte John ab. Der Arme
muss schon den ganzen Abend Wache schieben!", rief Cat Mouse zu. "Mach
ich!" Nach fünf Minuten kam John an und aß sein Würstchen. "Lilly, du
löst Mouse um Mitternacht ab. Um drei Uhr nachts bist dann du dran, Rod!
Um sechs schieb ich Wache. Alles klar?", befahl Cat. "Alles klar!",
riefen die anderen, dann legten sie sich alle in ihre Schlafsäcke und
schliefen ein. Cat stand morgens um sechs auf und ging zum Fenster, an
dem Rod Wache schob. Es wurde gerade hell. "Na, alles glatt gelaufen?",
fragte sie ihn. "Wie immer. Nichts erwähnenswertes", antwortete Rod und
gähnte. "Na dann, mach', dass du noch ein bisschen Schlaf bekommst!" Rod
ging und Cat lehnte sich an die Wand. Sie steckte sich eine Zigarette
an. "Mist. Schon wieder die letzte Kippe", dachte sie. Sie nickte ein
bisschen ein, wurde aber bald wieder von Stimmen aus dem Schlaf
gerissen. Ein Polizist und eine Politesse standen vor dem Fenster. "Nach
Aussagen des Zeugen versteckt sich hier die Bande. Wir brauchen
Verstärkung. Wer weiß wie viele das sind!", sagte der Mann. "Ok, hol' du
Verstärkung und ich passe derweil hier auf!" Cat hatte genug gehört. Sie
rannte in die Halle. "Aufwachen Leute! Die Bullen!" Rod stand sofort
auf. Anscheinend war er noch nicht wieder eingeschlafen. "Was? Cat bist
du dir sicher?" "Klar bin ich mir sicher! Ich hab das Gespräch von zwei
Bullen mit angehört. Sie wissen, dass wir hier sind! Und jetzt wollen
sie Verstärkung holen! Aufstehen!!" Der Rest der Bande stand auf und
packte rasch das Nötigste zusammen. Dann liefen sie schnell zu ihrem
Notausgang, einem Loch am anderen Ende der Halle. Cat lief voraus und
auch als erste durch das Loch. Doch sie bremste schnell ab. Sie landete
nämlich genau in den Armen eines Polizisten. "Halt, hiergeblieben junge
Dame!", rief der Polizist. Die anderen bremsten gerade noch rechtzeitig
ab und ihnen gelang es, den Polizisten zu entweichen. "Haut ab!", rief
Cat ihnen zu. "Ich komm schon alleine klar!" "Los, hinterher!", rief
eine Polizistin. Fünf Polizisten rannten ihnen hinterher. Drei blieben
bei Cat. Ihr wurden Handschellen angelegt und dann kam sie in ein
Polizeiauto. Sie wurde zur Wache gebracht. Dort kam sie in ein Zimmer,
das einem Büro glich. Ein ziemlich spießig aussehender Mann mit Anzug
und Krawatte kam herein. Er setzte sich an den Schreibtisch, und tippte
etwas in den Computer. Dann sah er Cat tief in die Augen. Sie starrte
trotzig zurück. Der Mann fragte: "Name?" "Cat", sagte Cat. "Ist das dein
richtiger Name?" "Nein." "Wie ist dein richtiger Name?" "Ich habe ihn
vergessen", sagte Cat und schaute ihn herausfordernd an. "Sei nicht
albern! Seinen Namen vergisst man nicht", sagte der Mann ruhig und
schaute ihr wieder in die Augen. "Ok ok, in echt heiße ich Mandy
Bäcker." "Geht doch", er tippte etwas in den Computer. "Alter, Wohnort,
Eltern?", fragte der Mann und sah ihr wieder in die Augen. Cat sah ein,
dass es nichts nützte, zu lügen. Aber sie wollte wenigstens ihr Alter
ändern. "Alter 15, Wohnort auf der Straße, Eltern gibt es nicht." "Was
ist mit den Eltern? Tot?", fragte der Beamte. "Mutter tot, Vater keine
Ahnung." "Gut, Mandy. Du hast einiges geklaut und bist deswegen schon
kriminell. Wenn du sechzehn wärst, bekämst du eine Strafe, aber du hast
Glück. Vielleicht kommst du mit ein bisschen nützlicher Arbeit hier und
da davon. Wir werden versuchen, etwas über deinen Vater herauszufinden,
und wenn er kann, kommst du zu ihm. Aber jetzt erst mal kommst du in ein
Heim. Das heißt morgen. Heute schläfst du hier im Präsidium. Komm, ich
zeig dir dein Zimmer." Der Beamte stand auf und ging aus dem Raum. Cat
folgte ihm. Der Beamte schlurfte voraus. Das war die Gelegenheit! Cat
rannte plötzlich nach rechts weg. Sie hatte immer noch die Handschellen
an, aber das behinderte sie keineswegs. Sie lief geradewegs auf eine Tür
zu und machte sie auf. Und dann lief sie schon wieder einem Polizisten
in die Arme. O Nein! Nicht schon wieder der Polizist von vorhin! Er
hielt sie fest und sagte: "Wohin des Wegs, junge Dame?" Er brachte sie
zurück zu dem Beamten der zu ihr sagte: "Ich kann ja verstehen, dass es
dir hier nicht gefällt. Ich bin auch nicht gerne hier. Aber bitte, keine
Fluchtversuche mehr, ja?" Cat grummelte etwas in sich hinein und folgte
dem Beamten. Der Polizist ging hinterher. Der Beamte schloss eine Tür
auf und Cat ging in den Raum. Er war ziemlich duster und glich einer
Gefängniszelle. Er war ausgestattet mit einem Bett (oder sollte man eher
sagen, einer Pritsche?), einem Tisch, einem Stuhl und hinter einem
Vorhang war noch ein Klo und ein Waschbecken. Der Raum hatte einen
Fließboden, und die Wände waren aus kaltem Stein. Durch ein kleines
Fenster kam ein kleiner Lichtschein herein. Als Cat sich ein wenig
umgeschaut hatte, machte der Beamte ihr die Handschellen ab und sagte:
"Ich hoffe, du findest es hier nicht zu schauerlich. Wegen deines
Fluchtversuchs muss ich die Tür leider abschließen. Ich wünsche dir
einen schönen Tag.", damit drehte er sich um und wollte gehen, aber er
drehte sich noch einmal um und sagte: "Ach ja, um 1 gibt's Mittagessen
und um 7 Abendbrot. Ich hoffe, du hast schon gefrühstückt!", damit ging
er und schloss die Tür ab. Cat setzte sich auf das Bett. Sie hatte noch
nicht gefrühstückt. Ihr knurrte der Magen. Und außerdem fehlte ihr eine
Zigarette. Da entdeckte sie auf dem Tisch Zeitschriften. Sie nahm sich
ein paar und legte sich aufs Bett und las. So verbrachte sie den
Vormittag.
Um 1 Uhr kam ein Polizist und brachte
ihr Mittagessen. Suppe mit Brot und ein Glas Wasser. Aber das war für
Cat schon fast ein Festessen. So etwas Gutes bekam sie nicht jeden Tag.
Den Nachmittag verbrachte sie mit Schlafen und Nachdenken. Sie würde
nicht in ein Heim gehen, darüber war sie sich im Klaren. Und wenn sie
sie zwingen sollten, dann würde sie halt wieder fliehen. Aber was war
mit ihrem Vater? Wenn die Polizisten ihn wirklich finden würden, würde
er sie aufnehmen? Sie war sich nicht sicher. Er hatte ihre Mutter als
sie vier war verlassen. Weil er sich in eine andere verliebt hatte.
Wahrscheinlich hat er die Tusse geheiratet. Um 7 gab's Abendbrot. Nudeln
mit Soße. Auch nicht schlecht. In der Nacht schlief Cat ziemlich
unruhig. Sie träumte von Polizisten, die ihren Vater entführten, von
ihrer Mutter und ihrer Bande. Am Morgen kam der Beamte vom vorigen Tag
wieder. "Gute Nachrichten, Mandy!", sagte er. "Wir haben deinen Vater
gefunden. Er kommt dich nachher holen." "Was? So schnell?" "Ja, er ist
einmal vorbestraft und war deshalb in den Akten." "Und wenn ich gar
nicht zu ihm möchte?", fragte Cat. "Tut mir leid! Du bist noch nicht 16
und kannst noch nicht entscheiden. Bis nachher, Mandy!", er zwinkerte
ihr zu und ging. Cat fühlte sich irgendwie verarscht. Um 12 kam der
Beamte wieder und sagte: "Dein Vater ist eingetroffen. Komm mit!" Cats
Herz klopfte tierisch. Sie hatte ihren Vater schließlich seid ihrem
vierten Lebensjahr nicht mehr gesehen. Sie gingen zu dem Büro des
Beamten. Er machte die Tür auf. Und da stand er. Cats Vater. Cat schaute
ihm in die Augen. Ja, das war der Mann auf den zahlreichen Fotos, die
Cats Mutter ihr immer gezeigt hatte. Nur dass die langen Haare ab waren.
Er trug einen schicken Anzug. Cat erinnerte sich, dass er früher immer
Ledersachen anhatte. "Hallo Mandy! Lange nicht gesehen, was?" Er
lächelte. "Ja", antwortete sie. "Komm, wir fahren nach Hause!", sagte er
und ging aus dem Zimmer. Sie folgte ihm. Vor dem Präsidium stand ein
dickes Auto. "Wow!", dachte Cat. Ihr Vater klickte auf seinen Schlüssel
und die Türen öffneten sich. Cat setzte sich auf den Beifahrersitz. "Ich
wohne jetzt in Volksdorf. Mit Brigitte. Ich nehme an, du kennst sie
nicht mehr. Wahrscheinlich wunderst du dich, dass ich so viel Geld habe.
Tja, ich hab einen guten Job gefunden. Ich verkaufe jetzt Autos bei
Chrysler." "Warum hast du dich nie um mich gekümmert?", fragte Cat
plötzlich scharf. "Du wirst es mir nicht glauben, aber ich habe bis
gestern nicht gewusst, dass deine Mutter gestorben ist. Das war für mich
ein großer Schock, als ich es erfahren habe. Man, was musst du
durchgemacht haben. Hast du wirklich auf der Straße gelebt?" "Ja, was
dagegen?", Cat glaubte ihm kein Wort. Ihr Vater steckte sich eine
Zigarette an. Cat nahm sich auch eine. "Du rauchst?", fragte er. "Ja, du
doch auch, oder?" Die weitere Fahrt lief schweigsam ab. Irgendwann hielt
ihr Vater vor einem großen Haus. "Das ist dein neues Zuhause, Mandy! Ich
hoffe es gefällt dir!", sagte der Vater und schloss die Tür auf. Ihnen
entgegen kam eine Frau. Das musste Brigitte sein. "Hallo! Du musst Mandy
sein! Wie schön, dich kennenzulernen." Cat sagte kein Wort. Ihr Vater
zeigte ihr ihr Zimmer. Es war riesig! Beim Abendessen unterhielten sie
sich über Gott und die Welt. Es war richtig lustig. Sogar Cat lachte
manchmal. So schrecklich waren ihr Vater und Brigitte auch nicht. Sie
glaubte sogar, dass sie es hier aushalten könnte.
Am nächsten Tag gingen sie zu dritt in
die Stadt um Cat neue Kleider zu kaufen. Außerdem bekam Cat noch viele
andere Sachen. Sie war richtig glücklich. Als sie gerade in der
Innenstadt herumliefen, hörte Cat plötzlich ein "Psst, Cat" Sie drehte
sich um, und hinter einem Baum stand Rod. "Komm! Wir haben ein neues
Lager." Cat überlegte nicht lange und lief mit Rod mit. Er führte sie in
ein altes, verlassenes Haus. Ein idealer Schlupfwinkel! Und da war auch
ihre Bande! Sie umarmte alle und dann musste sie erzählen, was sie
erlebt hatte. In der Nacht dachte Cat nach. Sie vermisste ihren Vater.
Und das große Haus. Es wäre schon schade, ein Leben in Saus und Braus
sausen zu lassen. Aber konnte sie ihre Bande allein lassen? Das musste
sie wohl. Wenn sie ihr Leben irgendwie in den Griff kriegen wollte,
musste sie jetzt in die Schule gehen und lernen. Dann könnte sie
vielleicht noch einen Hauptschulabschluss schaffen. Sie hatte sich
entschieden. Am nächsten Morgen teilte sie ihren Entschluss der Bande
mit. Alle waren traurig. Sie verabschiedete sich von allen. Aber wo war
Rod? "Wisst ihr wo Rod ist?", fragte sie. "Er ist gerade gegangen. Wohin
weiß ich auch nicht", sagte John. Cat kannte Rod gut genug, um zu
wissen, wo er war. Sie lief los. An die Alster. Hier war Rods und Cats
Lieblingsplatz. Da saß er! "Rod!", rief sie. Er sagte kein Wort. Sie
setzte sich neben ihn. "Was ist denn?", fragte sie. "Ach, geh doch zu
deinem Vater!", sagte er und schaute sie zornig an. "Du willst nicht,
dass ich gehe oder?" "Ob ich das nicht will? Natürlich will ich das
nicht! Wir waren so ein gutes Team. Drei Jahre lang! Und jetzt kommt
dein Vater und alles ist vorbei!" Er warf Steine ins Wasser. "Rod, du
heulst ja!", fiel Cat auf. Er hatte echt Tränen in den Augen. "Hör zu!
Wenn ich gehe, dann bist du der Chef! Und ich komm euch doch auch
besuchen. Und verpfeifen werde ich euch auch nicht! Ich habe mich eben
entschieden, mein Leben in den Griff zu bekommen und in die Schule zu
gehen. Ich weiß! Das ist das, was wir nie wollten. Aber es ist so! Ich
habe mich entschieden. Glaubst du, dass ich euch gern verlasse?", sie
schaute ihm in die Augen. Jetzt hatte auch sie Tränen in den Augen. So
saßen sie eine Zeit lang da. Plötzlich sagte Rod: "Ok, wenn du meinst,
dass es das Richtige ist, dann kann ich es wohl nicht verhindern. Aber
ich werde dich vermissen, Cat!" Cat lächelte und umarmte ihn. Zusammen
gingen sie zurück zu den anderen. "Also macht's gut, ihr Hafenratten!",
rief sie ihnen zu und wandte sich ab. "Machs gut, Cat!", rief Mouse. "Ab
heute heiße ich Mandy!", sagte sie und ging.
In ihr neues Leben hinein.